Downloaden, drucken, Riffe retten
Korallenriffe sind aufgrund des Klimawandels in akuter Gefahr. Eine K¨¹nstlerin und eine Meeresbiologin wollen mit Hilfe von 3D-Druckern Korallenriffe wieder aufbauen.
Die K¨¹nstlerin Marie Griesmar nimmt Stift und Papier mit, wenn sie tauchen geht. Den Bleigurt um ihre H¨¹fte geschnallt, kniet sie sich vor die Korallen, um ihre Formen zu skizzieren. Seit ihrer Kindheit fasziniert sie die Unterwasserwelt. ?Wenn ich ein Korallenriff betrachte, f¨¹hle ich mich unglaublich klein. Das Riff lehrt uns die Beziehung von Zeit und Raum?, erz?hlt sie ber¨¹hrt. Doch diese mehrere tausend Jahre alte, faszinierende Unterwasserwelt beginnt fern unserer Augen zu br?ckeln. Die w?rmer werdenden Meere f¨¹hren zur Bleichung von Korallen und zum Absterben ganzer Riffe ¨C den artenreichsten Lebensr?umen unter Wasser.
Was k?nnen wir dagegen tun, solange der Klimawandel nicht unter Kontrolle ist? Unter dem Namen ?RRReefs? schl?gt Marie Griesmar eine L?sung vor: Gemeinsam mit der Meeresbiologin Ulrike Pfreundt entwickelte sie an der ETH 3D-gedruckte Ziegel, die sich zu einem Riff zusammensetzen lassen. Spezielle Oberfl?chen sorgen dabei f¨¹r Verwirbelungen im Wasser, welche die Ansiedlung von Korallenlarven beg¨¹nstigen.
Der Reproduktion unter die Arme greifen
Die meisten Korallen geben nur einmal pro Jahr, in wenigen N?chten kurz nach Vollmond, Ei- und Spermazellen ins Wasser ab. Denn die Tiere m¨¹ssen ihre Geschlechtszellen zum gleichen Zeitpunkt freisetzen, um die Chance auf eine gegenseitige Befruchtung zu maximieren. Aus den befruchteten Eizellen wachsen l?ngliche Korallenlarven heran, welche die Str?mung mittr?gt und mit Gl¨¹ck an einen geeigneten Standort bringt, auf welchem sie zum sesshaften Polypen heranwachsen und eine neue Kolonie gr¨¹nden k?nnen.
Genau hier setzt RRReefs an: ?Wenn sich mit einem k¨¹nstlichen Riff die Wachstumsbedingungen f¨¹r die Larven verbessern liessen, k?nnten wir die Korallen in ihrer Fortpflanzung unterst¨¹tzen?, erkl?ren Griesmar und Pfreundt. ?Korallen haben einen sehr geringen Reproduktionserfolg ¨C etwa eins zu einer Million?, so Pfreundt, ?Als langlebige ?kosysteme hat das bisher gereicht, doch nun kommen sie mit der Anpassung und Wiederbesiedlung nicht nach.? Das Duo beabsichtigt, die nat¨¹rliche Besiedlung des k¨¹nstlichen Ziegel-Riffs mit der Methode der ?assisted evolution? zu kombinieren. Anders als bei der asexuellen Vermehrung von Korallen durch das sogenannte Fragging (Teilung der Korallen), werden dabei Eizellen und Spermien von resistenteren Korallen abgefangen und die Eizellen k¨¹nstlich befruchtet. Das sichert die genetische Variabilit?t, welche das Schl¨¹sselelement f¨¹r die Anpassung an die immer w?rmeren Meere ist.
Mittlerweile haben wir als Weltbev?lkerung die H?lfte aller Korallenriffe verloren, unter anderem durch deren Ausbleichung. Die Erw?rmung der Meere und die Wasserverschmutzung st?ren dabei die symbiotische Beziehung der Koralle mit bestimmten Algen, den Zooxanthellen. Diese Algenart produziert durch Fotosynthese Sauerstoff und Zucker als prim?re Nahrungsquelle f¨¹r die Korallen und gibt ihnen ihre Farbe. ?Man vermutet, dass bei zu hohen Wassertemperaturen die Fotosynthese der Algen gest?rt ist. Dadurch werden sie f¨¹r die Korallen zum Parasiten, den sie abstossen?, erkl?rt Pfreundt. In der Folge bleicht die Koralle aus und stirbt ab. Das Kalkskelett der Korallen beginnt zu br?ckeln und zur¨¹ck bleiben ein algen¨¹berwucherter Friedhof und unz?hlige Meerestiere ohne Habitat. Marie Griesmar hat diesen Prozess w?hrend einer Tauchausbildung auf den Seychellen hautnah miterlebt: ?Es war verst?rend mitanzusehen.? Das Wegbrechen der Grundlage dieses ?kosystems hat auch grosse Auswirkungen auf uns Menschen, denn Riffe sch¨¹tzen die K¨¹stenlinie vor Erosion und bilden eine wichtige Einnahmequelle f¨¹r Tourismus und Fischerei.
Zufallstreffer
?Das Problem ist eine grosse globale Herausforderung, die sich nicht mehr innerhalb einer Disziplin l?sen l?sst?, meint auch die Leiterin des ETH Library Labs Maximiliane Okonnek. Sie hatte die engagierte K¨¹nstlerin bei deren Art-Residency in San Francisco kennengelernt und sie auf das Innovator Fellowship beim ETH Library Lab aufmerksam gemacht. Die Option kam f¨¹r Marie Griesmar wie gerufen. Damals hatte die K¨¹nstlerin bereits mit dem Reef Genomics Lab in Saudi-Arabien zusammengearbeitet, um Unterwasser-Architektur zu entwickeln. ?Ich brauchte nun neue Technologien wie 3D-Druck, um vorw?rts zu kommen?, beschreibt sie ihre Motivation, sich an der ETH zu bewerben. In der Zusammenarbeit mit dem ETH Library Lab liessen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Griesmar konnte mit 3D-Druck arbeiten und das Library Lab erhielt einen Einblick in die Daten- und Informationsinfrastruktur hinter dieser Methode. Zudem stellte Griesmar 3D-Druck-Modelle f¨¹r das schweizweite Netzwerk ?Material-Archiv? her. ?3D-Druck gewinnt im Wissenschaftsbereich immer mehr an Bedeutung. F¨¹r Bibliotheken ist es wichtig zu verfolgen, welche Infrastruktur f¨¹r den Austausch von Informationen in diesem Bereich relevant ist und wie mit Daten und Software umgegangen wird?, verdeutlicht Okonnek die Beziehung des Projekts zum ETH Library Lab.
Nach einem erfolgreichen Pitch f¨¹r ihr Projekt ?Beneath the Sea? erhielt Griesmar Unterst¨¹tzung von der ETH-Professur f¨¹r Architektur und Digitale Fabrikation ?Gramazio Kohler Research? und von der Z¨¹rcher Hochschule der K¨¹nste (ZHdK), um an der Herstellung von Riffstrukturen aus Ton zu forschen. ?Es brauchte Zeit, bis wir dieselbe Sprache sprachen und ich CAD-Zeichnen und Programmieren lernte?, erz?hlt die K¨¹nstlerin ¨¹ber den Start. Bereits das richtige Mischverh?ltnis f¨¹r den 3D-Druck mit Ton zu finden, war eine trial-and-error-Angelegenheit f¨¹r Griesmar: ?Zum Gl¨¹ck l?sst sich Ton recyceln. Das lokale Familienunternehmen Bodmer Ton hat mir eine Tonne davon zur Verf¨¹gung gestellt.?
Unabh?ngig und unwissend davon arbeitete die Meeresbiologin Ulrike Pfreundt im gleichen Geb?ude am selben Thema. Pfreundt nutzte 3D-Druck aus Sand, um herauszufinden, welche Geometrien den Larven helfen k?nnten, sich anzusiedeln. ?Als ich dies vernahm, dachte ich sofort, dass wir unsere St?rken kombinieren sollten?, erz?hlt Griesmar mit einem Leuchten in den Augen. Die beiden Forscherinnen teilen ihre Vision von einem k¨¹nstlichen Riff, das mit neuen Technologien kosteng¨¹nstig und mit Hilfe der lokalen Bev?lkerung erstellt wird, um die Regeneration des ?kosystems zu unterst¨¹tzen.
Aus der gemeinsamen Forschungsfrage entwickelte sich die MAS DFAB Thesis ?Computational Clay Coral Cities?, an welcher auch die Professur f¨¹r Digital Building Technologies beteiligt war. Dabei untersuchten zwei Masterstudierende des Departements Architektur die M?glichkeiten von Rapid Clay Formations zur Riffbildung. Rapid Clay Formations bezeichnet eine Methode, bei welcher Roboterarme zylinderf?rmige St¨¹cke Ton greifen und nach vorgegebenen Parametern aufeinanderpressen. Die Studierenden griffen auf Daten des Marine Research and High Education Centers (MaRHE) zur¨¹ck und Forscher des Lehrstuhls f¨¹r Environmental Fluid Mechanics untersuchten den Str?mungsverlauf entlang des k¨¹nstlichen Riffs.
Gen?hrt von den interdisziplin?ren Erkenntnissen entschied Griesmar, ihre eigene Struktur mit dem klassischen 3D-?Druck-Verfahren aus Ton zu produzieren. ?So brauchen wir weniger Material und zweitens sind die Ziegel und Drucker einfacher zu transportieren, was die Anpassung an die lokalen Bedingungen verbessert?, meint die K¨¹nstlerin. Mit Hilfe des Programmierers Jonas Ward Van den Bulcke druckte sie Bauteile, welche ¨¹ber zwei Verbindungen verf¨¹gen und dadurch stapelbar sind. Zusammengeh?ngt bilden sie eine robuste Struktur, welche ?ussere Kr?fte verteilt. ?Ich wollte ein modulares System schaffen, das einfach zu installieren, spielerisch und ?sthetisch ist?, beschreibt Griesmar ihr Ziegelsystem. Pfreundts Forschungsresultate sind dabei miteingeflossen: ?F¨¹r die Larven ist die raue Oberfl?che des Tons ideal. Die seitlichen Auskragungen im Zentimeterbereich sch¨¹tzen sie vor Sand und hungrigen Fischm?ulern?, so die Meeresbiologin. Proben von Griesmars Oberfl?chenstrukturen h?ngen zurzeit im Indischen Ozean, wo Forscher des MaRHE die Ansiedlung von Korallenlarven beobachten.
Lego mit wissenschaftlichem Hintergrund
?Das ETH Library Lab hat mir geholfen, die richtigen Leute zu finden und hat mich methodisch auf meinem interdisziplin?ren Weg unterst¨¹tzt. Das war sehr wertvoll?, sagt Griesmar. Nach dem Fellowship an der ETH hat sie gemeinsam mit Pfreundt die NGO ?RRReefs? gegr¨¹ndet ¨C kurz f¨¹r Rethinking, Rebuilding, Regenerating Reefs. ?Wir m?chten einen ganzheitlichen Ansatz f¨¹r das Problem finden und die lokalen Communities miteinbeziehen?, erkl?rt Griesmar. Die Grundlage bildet das RRReefs Brick System, welches sie entwickelt hat. In Workshops m?chten die beiden zusammen mit Volont?ren zwei Pilotriffe in Kolumbien und den Malediven aufbauen. ?Wenn ich die Leute dazu bringen kann, die Erhabenheit des Riffs zu sp¨¹ren, die Hoffnung nicht zu verlieren oder gar zu handeln, ist das f¨¹r mich ein guter Start?, meint Griesmar. Das Duo m?chte sein Wissen dar¨¹ber weitergeben, wie man ein Riff aufbaut und es ¨¹berwacht. ?Bisher gebaute Riffe wurden nicht konsequent ¨¹berwacht und ausgewertet?, meint Pfreundt als Biologin. Deshalb beabsichtigen sie bei ihren Pilotriffen mindestens zwei Jahre lang Artenreichtum und Korallenwachstum zu dokumentieren. Erkenntnisse und Gewinne fliessen in die Forschung und in das Projekt zur¨¹ck, sodass sie ihren Ansatz stetig verbessern k?nnen.
RRReefs hat sich zum Ziel gesetzt, je 200 Ziegel pro Standort zu produzieren und an die Einsatzorte zu verschiffen. ?Es steckt viel Handarbeit und Zeit dahinter, vor allem in der Aufbereitung des Materials?, sagt Griesmar. Deshalb l?uft zurzeit ein Crowdfunding, bei welchem die Unterst¨¹tzer einen solchen Ziegel finanzieren oder gleich beim Aufbau des Riffs dabei sein k?nnen. In Zukunft k?nnten allerdings angelernte Einheimische die Daten selbst downloaden, die Bauteile ausdrucken und im Meer platzieren. Bis dahin muss das Team noch eine L?sung f¨¹r einen vereinfachten Brennvorgang der Ziegel finden, beispielsweise mit Zus?tzen, welche eine tiefere Brenntemperatur erm?glichen. Doch die Passion, mit welcher sich die beiden Forscherinnen dem Klimawandel stellen, l?sst vermuten, dass sie die Antwort schnell finden werden.
Modell des k¨¹nstlichen Riffs aus dem 3D-Drucker
ETH Library Lab
Das ETH Library Lab wurde 2018 als Initiative der ETH-Bibliothek und der Bibliothek des Karlsruher Instituts f¨¹r Technologie gegr¨¹ndet. Es besch?ftigt sich mit der Zukunft wissenschaftlicher Bibliotheken sowie neuen Wegen des Wissenstransfers. Der Initiative liegt der Open-Science-Gedanke zu Grunde: Jede und jeder soll Zugang zum wissenschaftlichen Output haben. Zwei Mal pro Jahr erm?glicht das ETH Library Lab Masterstudierenden, K¨¹nstlern oder Forschenden ein Innovator Fellowship, um innovative Konzepte zu erproben. Das Projekt ?Beneath the Sea? von Marie Griesmar hat den Informationsaustausch ¨¹ber 3D-Druck in der Bibliothek gest?rkt. Ihre Modelle sind nun im Material-Archiv an der ZHdK oder ¨¹ber die Online-Datenbank zug?nglich. Auf dem Library-Lab-Blog oder auf der Explora-Website der ETH-Bibliothek k?nnen Interessierte den Arbeitsprozess mit Ton und 3D-Druck verfolgen.
Dieser Text ist in der Ausgabe 20/04 des ETH-Magazins Globe erschienen.